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Aus der Situation das Beste machen

Magazin Wirtschaft: Herr Prof. Miegel, die demografische Entwicklung wird oft als Verhängnis beschrieben. Was erwartet uns in den nächsten Jahrzehnten?

Meinhard Miegel: Die Bevölkerung - auch die Erwerbsbevölkerung - wird abnehmen, und sie wird deutlich altern. Das zwingt uns, unsere Vorstellungen von Jugend und Alter zu verändern, die im Wesentlichen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts stammen.

Magazin Wirtschaft: Was meinen Sie damit?

Meinhard Miegel: Die Menschen werden heute statistisch doppelt so alt wie vor hundert Jahren. Damals erlebten die meisten Erwerbstätigen ihren Ruhestand gar nicht erst, heute ist dies eine eigene Lebensphase, die Jahrzehnte dauern kann. Mit Ende fünfzig waren die Menschen damals alt und ausgebrannt, heute kann man in diesem Alter in aller Regel beruflich durchaus noch etwas leisten. Das alles relativiert diesen Alterungsprozess, der uns bevorsteht, erheblich.

Magazin Wirtschaft: Das hört sich fast zuversichtlich an, läuft aber auf eine deutlich verlängerte Lebensarbeitszeit hinaus.

Meinhard Miegel: Genau. Die Entwicklung erfordert es, dass wir unser gesamtes Lebenskonzept ändern. Wir können die Gesellschaft nicht so organisieren, dass die Menschen 20, 25 Jahre von Transferzahlungen leben. Wer die Rente mit 67 ernsthaft in Frage stellt, ist meiner Ansicht nach noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.

Magazin Wirtschaft: Aber selbst wenn wir bis 67 berufstätig sind - in diesem Alter arbeitet man anders als mit Mitte 30.

Meinhard Miegel: Deshalb muss die Gesellschaft als Ganzes umdenken. Unsere Arbeitswelt ist im Kern auf den jungen Menschen ausgerichtet - daran orientieren sich die Managementstrukturen und auch die Motivationssysteme: Die Menschen sind es gewohnt, dass ihre Einkommen bis zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben stetig wachsen. In Zukunft stehen wir vor der Situation, dass Menschen den Zenit ihrer physischen und psychischen Leistungskraft überschritten haben, aber noch längst nicht am Ende ihres Erwerbslebens stehen. Deshalb muss es die Perspektive geben, dass man mit Mitte oder Ende 50 beruflich auch wieder absteigen kann.

Magazin Wirtschaft: Also weniger Lohn für Ältere?

Meinhard Miegel: Nein, ich halte gar nichts von starren Altersgrenzen. Wir brauchen differenzierte Mechanismen, die dem Einzelnen besser gerecht werden.

Magazin Wirtschaft: Und was könnte dies ihrer Ansicht nach konkret bedeuten?

Meinhard Miegel: Solange man seiner Aufgabe gewachsen ist, spielt das Alter keine Rolle. Aber in vielen Fällen wird ein älterer Erwerbstätiger eine andere Aufgabe besser ausfüllen können, die unter Umständen geringer bezahlt wird. Zeigt sich, dass ein Arbeitnehmer einfach nicht mehr arbeiten kann, dann soll er Transferzahlungen erhalten.

Magazin Wirtschaft: Zum Teil konkurrieren wir mit ausgeprägt jungen Volkswirtschaften, vor allem in Asien. Geraten wir ihnen gegenüber langfristig ins Hintertreffen?

Meinhard Miegel: Ausschließen kann man das nicht. Natürlich haben die verschiedenen Lebensalter ihre unterschiedlichen Qualitäten. Mit 50 hat man andere Stärken als mit 30, aber eben auch andere Schwächen. So ist das nun einmal. Wir können an der Demografie nichts ändern, sondern müssen versuchen, aus dieser Situation, mit der Bevölkerung, die wir haben, das Beste zu machen.

Magazin Wirtschaft der IHK Stuttgart, 2. November 2009

Interview: Walter Beck